Politik ganz persönlich

So wie sich zum Beispiel der Arzt um den einzelnen Menschen kümmert,
so ist das Arbeitsgebiet der Politik die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens.


Niemand muss sich für Politik interessieren,
aber von Politik ist jede(r) „ganz persönlich“ betroffen:
Ist Frieden im Land oder ist Krieg im Land?
Ist Wohlstand im Land oder ist Armut im Land?
Ist Freiheit im Land oder ist Unterdrückung im Land?

Einmal im Jahr sagten in meiner Kindheit und Jugend mein Vater oder meine Mutter: „Übermorgen fahren wir Marillen holen!“
„Übermorgen“ wurde dann nach dem Frühstück unser kleines Auto mit Obstschachteln und Obststeigen vollgeräumt, und dann gings auf nach Kittsee zu Tante Moik. Ohne eine mehrspurige Autobahn, die gab es damals nämlich noch nicht, kamen wir dann nach zirka drei Stunden Fahrzeit dort an, genau zur rechten Zeit, um nach einer ausführlichen Begrüßung das üppige Mittagsmahl zu uns zu nehmen. Danach mussten meine Eltern im abgedunkelten Wohnzimmer einen erholsamen Mittagsschlaf nehmen, dann gabs Kaffee und Kuchen, und dann wurden Schachtel um Schachtel und Steige um Steige voll mit Marillen ins Auto geräumt. Prachtvolle reife rot-orange Marillen! Zu Hause wurden die Marillen dann an Freunde, Bekannte und Verwandte verteilt, die Mutter machte phantastische Marmelade und jeder hatte Bauchweh, weil man mit dem Marillen-Essen einfach nicht aufhören kann.

Und während meine Eltern im abgedunkelten Wohnzimmer der Tante den von der Tante verordneten erholsamen Mittagsschlaf suchten, spielte ich mit mir allein mit einem Fußball im Hof vor dem Haus. Und wenn ich mich dann gelegentlich einmal umblickte, bot sich mir in drei Himmelsrichtungen das etwa selbe Bild: Flaches Land, Wiesen und Äcker, kleine liebevolle, gepflegte Häuser mit ebenso netten Nebengebäuden. Nur wenn ich nach Osten schaute, in die Slowakei, bot sich mir ein anderes Bild. In zirka dreihundert Meter Entfernung war ein Maschendrahtzaun, so lang wie man nur schauen kann, dahinter war braches Land, und dann sah man in einiger Entfernung ein paar mittelhohe Hochhäuser und daneben ein paar Bäume. Diese Hochhäuser konnte man nicht im Detail erkennen, und doch wusste ich, dass es hässliche, lieblose Häuser sind mit ebenso hässlichen lieblosen Wohnungen. Trostlos. Und die Menschen laufen da tagein und tagaus in hässlichen ausgebeulten Trainingsanzügen herum. Aber bei diesem Bild mit den Trainingsanzügen bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich dieses Bild auch schon damals hatte, oder ob es erst später dazukam. Bei allem anderen aber kann ich mich erinnern als wäre es gestern gewesen.

Wie kann das sein, fragte ich mich im Stillen? Dreihundert Meter links von einem Zaun gibt es schöne Häuser und schön gekleidete Menschen und ein paar hundert Meter rechts vom Zaun ist alles einfach nur trostlos. Kann das sein, dass alle Menschen ein paar Meter links vom Zaun fleißig sind und das Schöne lieben und alle Menschen ein paar Meter rechts vom Zaun faul sind und das Schöne nicht lieben? Die Sonne ist die gleiche, die Luft ist die gleiche, das Wasser ist das gleiche und auch die Erde ist die gleiche, denn die Kartoffeln wachsen links vom Zaun gleich gut oder gleich schlecht wie rechts vom Zaun.

Es war damals, in jungen Jahren, dass ich begriff, dass es die Politik ist, die den Unterschied macht. Österreich war, wie man damals sagte, ein „freies westliches demokratisches modernes Land“ und zum Beispiel die Slowakei war ein sozialistisches kommunistisches Land, eine sozialistische Diktatur, wie ich es immer kalt erschauernd empfand.

Es ist die Politik, die das Leben von uns allen permanent und wesentlich bestimmt, selbst wenn wir das nicht erkennen oder uns dessen nicht ständig bewusst sind.

Man denke nur einmal kurz an die Arbeitsgebiete der Ministerien: Schulpolitik, Bildungspolitik, Sozialpolitik, Familienpolitik, Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Außenpolitik, Verteidigungspolitik etc.

Schon wann man in den Familien morgens aufsteht hängt ganz wesentlich mit von Politik Gestaltetem zusammen:
Wann sperrt der Kindergarten auf? Wann ist Schulbeginn? Gibt es überhaupt einen Kindergarten? Gibt es einen Kindergarten den man sich leisten kann? Wie weit ist der Weg zur nächsten Schule? Gibt es einen Schulbus oder nicht? Gibt es einen Lehrplatz und eine Lehrlingsschule? Wo gibt es die nächste Universität, welche Studienrichtungen werden dort angeboten und was kostet ein Studium?
Hat der Vater einen Arbeitsplatz oder nicht, wenn ja wo und welchen? Wie hoch ist der Lohn, den er für seine Arbeit bekommt, wie viel davon muss er hergeben und wie viel davon darf er für sich und seine Familie behalten? Arbeitet er nach genauen Vorgaben in einer Kolchose, oder als Ingenieur in einer Fabrik in der kreative intelligente Menschen moderne Produkte planen und produzieren, die sie dann in die ganze Welt verkaufen?
Ist die Mutter zu Hause und arbeitet für die Familie indem sie Kartoffeln anbaut, drei Hühner und zwei Schweine füttert und dann das Mittagessen kocht, oder hat die Mutter vielleicht auch eine bezahlte Arbeitsstelle, vielleicht als Lehrerin, weil mit dem Steuergeld aus der Fabrik Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen finanziert werden können?
Oder ist der Vater gar ein selbständiger Unternehmer, der als Einzelunternehmer begann, aber heute in seiner Firma bereits zehn Menschen beschäftigt? Oder ist das alles nicht möglich, weil die Politiker sagen und dann über die staatliche Gewalt durchsetzen, dass in diesem Land alle Menschen gleich sind und alle Menschen gleich zu sein haben und niemand eigenen Grund und Boden haben darf und auch sonst nichts Eigenes besitzen darf?
Werden in der Fabrik nach den Plänen des Politbüros für alle Menschen im Land die gleichen braunen Schuhe gefertigt, es kommt ja der Winter und jetzt brauchen alle feste braune Winterschuhe, oder dürfen die internationalen Top-Designer mit ihren Haute-Couture-Salons in den Modemetropolen der Welt und mit ihren phantastischen Modeschauen im Wettbewerb der Kreativität und Ästhetik um die weltweit bekanntesten und beliebtesten Promis als Testimonial-Kunden werben?

So wie sich zum Beispiel der Arzt um den einzelnen Menschen kümmert, so ist das Arbeitsgebiet der Politik die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Und jeder von uns ist Teil einer Gesellschaft, trägt also damit, dass er so ist wie er ist und damit, dass er so tut wie er tut, zur Gestaltung dieses gesellschaftlichen Zusammenlebens bei. Selbstverständlich gestalten auch diejenigen mit, die nichts tun. Sie tun, indem sie nichts tun und somit Anderen die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens überlassen. Und davon sind dann wieder alle betroffen, auch diejenigen die nichts tun.

Niemand muss sich für Politik interessieren, aber von Politik ist jede(r) „ganz persönlich“ betroffen: Ist Frieden im Land oder ist Krieg im Land? Ist Wohlstand im Land oder ist Armut im Land? Ist Freiheit im Land oder ist Unterdrückung im Land?

Immer wieder sagen Menschen, dass sie sich nicht für Politik interessieren. Und meistens habe ich dabei den Eindruck, dass diesen Menschen gar nicht wirklich bewusst ist was sie da sagen. Denn da von Politik jede(r) „ganz persönlich“ betroffen ist, ist kein Interesse an Politik zu haben so als würden diese Menschen sagen: „Ich interessiere mich nicht für mein Schicksal, ich interessiere mich nicht für das Schicksal meiner Familie, ich interessiere mich nicht für das Schicksal meiner Mitmenschen.“

Niemand muss sich für Politik interessieren, aber von Politik ist jede(r) „ganz persönlich“ betroffen. Und so, wie nicht jeder Fisch in jedem Wasser überleben kann, der eine braucht warmes Wasser und der andere braucht kaltes Wasser, der eine kann auch in verschmutztem Wasser überleben und der andere braucht glasklares sauerstoffreiches Wasser, so kann auch nicht jeder Mensch in jedem politischen System gut leben und viele Menschen können in bestimmten politischen Systemen überhaupt nicht leben bzw. gar nicht überleben.

Ich für mich wünsche mir eine christlich geprägte intelligente menschliche verantwortungsvolle solidarische warmherzige gottesfürchtige Politik und Gesellschaft. Leider wird genau das jetzt mehr und mehr brutal zerstört, und zwar absichtlich und ganz gezielt.

Und obwohl die derzeitige Mehrheit der Menschen im Land diese Entwicklung ganz bestimmt nicht will, kann sie nicht gestoppt werden, weil sich die Menschen nicht wirklich verantwortungsbewusst für Politik interessieren und weil sie schon gar nicht bereit sind dann auch danach zu handeln.

Herzlichst,
in eine selbst verschuldete schlechte Zukunft für uns alle blickend,
Dr. W. Zottler

PS 1: Kolchose = landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft in der Sowjetunion
PS 2: Politbüro = das höchste politische Führungsgremium von Kommunistischen Parteien
PS 3: Kittsee ist eine Marktgemeinde mit 3250 Einwohnern im Bezirk Neusiedl am See im Burgenland in Österreich. Wikipedia
PS 4: Kittseer Marille: Genießen Sie die herrlichen sonnengereiften Kittseer Qualitätsmarillen in der 3500 Seelen Gemeinde Kittsee, nahe der slowakischen Hauptstadt.
PS 5: Slowakei, Bratislava, Petržalka. Petržalka ist ein Stadtteil von Bratislava. Die westliche Grenze des Stadtteils ist identisch mit der Staatsgrenze zu Österreich mit den Grenzübergängen Berg und Kittsee. Es ist das Gebiet mit der höchsten Bevölkerungsdichte in der Slowakei. Wikipedia

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